Presse

Presse

Self-Empowerment auf hohen Hacken

High-Heel-Tanzkurse werden immer beliebter, auch in München. Alles dreht sich dabei um schnelle Schritte und heiße Choreografien - bloß für wen macht man die eigentlich? Ein Besuch im Tanzstudio.

Von Fanny Gasser (Süddeutsche Zeitung)


Ein großer Raum mit rosarotem Schummerlicht, eine rote Couch in der Ecke. Aufwärmphase. Eine Drehung hier, ein paar Fingerschnipser da, eine "Body Roll" dort. 20 junge Frauen haben sich im Raum verteilt - sie tragen schwarze High Heels, schwarze Strumpfhosen, schwarze Trikots und schwarze Knieschoner. In der ersten Reihe, direkt hinter der Tanzlehrerin, eine zierliche junge Frau mit welligen, dunkelbraunen Haaren, die lose über ihre Schultern hängen. Musik setzt ein. "Einatmen, ausatmen, Hände hinter die Ohren." Ihr Blick geht zum Spiegel, sie folgt den Bewegungen der Lehrerin als sei sie deren Schatten.



Die Tänzerin, die sich noch einmal schnell bückt, um die Riemchen ihrer hohen Stöckelschuhe enger zu zurren, heißt Chiara di Geronimo. Sie ist fast jeden Abend hier, um zu tanzen. "Ich verpass' keinen Kurs, egal was, ich sag alles andere ab", sagt Chiara. "Als ich noch einen Freund hatte, bin ich an seinem Geburtstag trotzdem hierhergekommen." Warum? "Weil hier echt eine ganz besondere Energie ist", sagt sie. Chiara trägt ein großes Grinsen im Gesicht, wenn sie vom Tanzen auf High Heels redet.

Das Tanzstudio, in dem Chiara ihre Abende verbringt, liegt in der Landsberger Straße und nennt sich Fabinesa. Fabinesa ist nur eines von mehreren Studios in München, die High-Heel-Tanzkurse anbieten. Ursprünglich vor allem in den USA bekannt, hat der Trendtanzstil längst auch nach Deutschland gefunden. Viele kennen das Tanzen auf Stöckelschuhen hauptsächlich von Instagram. Vor allem unter jungen Frauen, aber auch unter manchen Männern, sind die Kurse beliebt. Das Besondere am Tanzstil: Er verkörpert weibliche Stärke - er ist sinnlich und zugleich sportlich sehr herausfordernd.

Das Tanzstudio ist ihr "Safe Space"

Das Tanzen bei Fabinesa holte Chiara vor vier Jahren aus einem tiefen Loch, erzählt sie. Sie war im Krankenhaus und verfolgte die Eröffnung des Tanzstudios Fabinesa in den Sozialen Medien. "Ich wollte unbedingt anfangen zu tanzen, und tatsächlich hat mich das sogar so sehr motiviert, dass ich wieder gesund geworden bin", sagt Chiara. Zuvor hatte sie nie getanzt, jedenfalls nicht in Tanzschulen.


Das Studio sei ein richtiger "Safe Space", ein Ort, an dem man sich sicher und aufgehoben fühlt, sagt Chiara. Man motiviere sich, statt sich gegenseitig unter Druck zu setzen. "Wir betonen immer, dass du für dich selbst hierherkommst", sagt auch Julia Fank, die Inhaberin von Fabinesa. Oft sollen hohe Absätze andere verführen, aber hier im Studio gehe es um Sport und Selbstbewusstsein. Julia möchte den Tänzerinnen das Gefühl geben, "dass du als Frau wow sein kannst - du kannst stark sein, du kannst sehr soft sein - warum muss man sich für eine Rolle entscheiden". Zu hören, dass sich die Schülerinnen bei ihr wohl fühlen, ist für sie wichtig. "Es gibt so viele Leute, die an Gott glauben, und so wenige von ihnen glauben an sich selbst", sagt Julia. Tanzen auf High Heels - und zwar solo - hat eine stark emanzipatorische Komponente. Es geht um Weiblichkeit und Sexyness, aber für einen selbst. Und es geht darum, ähnlich wie beim Poledance, sich von einem Stigma zu lösen und das Sportliche in den Vordergrund zu rücken.


"Es ist weiblich, es ist sexy, ja es ist supermusikalisch und technisch", sagt Julia. Sie ist vor neun Jahren von Kiew nach Deutschland gezogen und hat 2019 ihr eigenes Tanzstudio eröffnet. Damals noch mit kaum Konkurrenz bei High-Heel-Kursen in München. Wenn sie tanzt, schlüpft sie wie eine Schauspielerin in eine Rolle. Kräftige Stimme, Ausdruck bis in den letzten Finger, ihre Haare fliegen durch die Luft. "Seite, Boom, Seite, Boom", nur wenige Anweisungen reichen, dass ihre Schülerinnen ihre Bewegungen verstehen.

Self-Empowerment - aber bühnentauglich

Die heutige Stunde ist für Fortgeschrittene, da kommen nur "die Mädels mit Erfahrung oder die Top-Motivierten", sagt Julia. Die "Fabinesa Girls", so nennen sich die Tänzerinnen, üben ein Rad. Julia turnt vor, die Mädels machen es ihr nach. Erstmal unabhängig von der Choreografie - später soll alles zusammengeführt werden. Während die meisten ohne Heels üben, hat Chiara ihre angelassen und bewegt sich leichtfüßig durch den Raum. Wenn die Abfolge zu Ende ist, macht sie noch ein paar zusätzliche Steps oder schwingt noch einmal ihr Haar.


"Das Komplizierteste ist das hohe Tempo", sagt Julia. Abrupte, unerwartete Schritte mischen sich mit langsamen, ziehenden Bewegungen. "Schritt, Drehung, Sitzen, Boden, Zack, Kopf, Ah." Außerdem ist die Technik schwierig, "man muss es 100-mal machen, damit es nach dem 101. Mal vielleicht läuft". Um die intensiven Einheiten durchzuhalten, tragen die Tänzerinnen Knieschoner.


Ob sie all das wirklich nur für sich selbst üben? Na ja, hauptsächlich zumindest. Chiara postet gerne Videos von sich auf Instagram, freut sich über Zusprache von anderen jungen Tänzerinnen. Und Julia erzählt, wie begeistert ihr Freund von ihrer aufgedrehten Stimmung nach den Heels-Kursen sei. Hüftschwingend spaziere sie zum Auto, wenn er sie abends vom Tanzstudio abholt. Auch eine kleine Show haben die "Fabinesa Girls" für Juli geplant. Es geht ihnen zwar um Self-Empowerment, aber bühnentauglich soll das Ganze wohl auch sein.


Aufbruchstimmung. "Es ist heiiiß", sagt Julia und alle lachen. Endlich aus den engen Schuhen raus. Ein paar Mädels spielen Musik auf ihren Handys ab und üben weiter. Man hilft einander, egal ob erfahren oder ganz neu hier - der "Safe Space", von dem Chiara und Julia sprechen, ist spürbar. Chiara spaziert an den Mädels vorbei und feuert sie an. Bald darf auch sie vielleicht einen Anfängerkurs übernehmen und so wie Julia ganz vorne stehen.


"Es gibt so viele Leute, die an Gott glauben, und so wenige von ihnen glauben an sich selbst"

Share by: